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robinson

Früher War Nicht Alles Besser

Arne Gülzau

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Hin und wieder erscheint auf diesem Blog auch mal etwas, das nicht besonders viel mit der Digitalisierung oder mit der IT zu tun hat. Heute zum Beispiel.

Robinson Crusoe vs. Dein Passwort

Am 1. Februar ist Ändere-Dein-Passwort-Tag. Oder auch Robinson-Crusoe-Tag. Welchen wollen wir feiern? Eine kurze Abwägung voller Zynismus und Ironie – nur für den Zeitvertreib, falls ihr am Wochenende nichts zu tun habt…

Ich weiß, es fällt schwer, sich jedes Jahr ein neues Passwort auszudenken, das große und kleine Buchstaben und Zahlen und Sonderzeichen (aber nicht die falschen) hat und lang genug ist, damit man es schnell wieder vergisst und sich ärgert. Wenn man es richtig macht, muss man natürlich für jeden Account und jede Seite das Passwort ändern und diese dürfen sich auch auf keinen Fall ähneln oder gar wiederholen. Da kommen schnell ein paar Dutzend zusammen, oder? Aber deswegen nutzen wir schließlich alle einen Passwort-Manager und haben dafür selbst auch ein sicheres Passwort hinterlegt. Aber wo eigentlich? Und seit wann? Muss ich da vielleicht mal wieder ein neues erstellen? Och nöö.

1/3 Robinson

Ich kann verstehen, dass man ob dieser anstrengenden Aufgabe an diesem Datum vielleicht doch eher den Robinson-Crusoe-Tag begehen will. Aber wie viel wissen wir eigentlich darüber, was man dort feiert?

Der Roman von Daniel Defoe aus dem Jahr 1719 projiziert bis heute einen verklärten Blick auf den Kolonialismus und den Sklavenhandel, den inhärenten Rassismus und das Gewaltsystem des 18. Jahrhunderts. Und ich wette mit euch, dass ihr sogar nur den dritten Teil des Romans vor Augen habt, und höchstwahrscheinlich gar nicht wisst, dass es noch zwei weitere Teile gibt?
„Robinson Crusoe“ war der erste Roman der Abenteuerliteratur, der sich mit dem Thema eines gestrandeten Menschen auf einer vermeintlich einsamen Insel beschäftigte und deswegen auch bis heute als Klassiker des Genres gilt. Der Begriff „Robinsonade“ steht für eben solche Geschichten von Menschen, die irgendwo auf einer einsamen Insel stranden. Da gibt es inzwischen ja tausende Spielarten und Beispiele zu. Von dem Fed-Ex Werbefilm „Cast Away“ bis zu „Lord Of The Flies“ und vielen mehr.
Der Roman prägt bis heute die Vorstellung vieler Menschen von dem Begriff „Insel“: Palmen, Isolation, Abenteuer, und auch häufig Urlaub, Strand, Ruhe und Exotik werden mit dem Begriff assoziiert. Das ist natürlich nicht schlimm, aber hat ja mit einer Insel wie Pellworm zum Beispiel wenig zu tun. Und natürlich gibt es seit langem Geschäftsleute, die sich dieser Sehnsuchtsphantasie blasser Europäer annehmen und mit „Robinson Cruises“, „Robinson Club“ und den „Robinson Crusoes Inseln“ Angebote für den modernen Kolonialisten anbieten.

Weltsicht aus dem 18. Jahrhundert

Viele kennen nur den letzten Teil von Robinson Crusoe: Schiffbruch, Insel, Freitag. Doch die Geschichte beginnt viel früher. Robinson hatte ein äußerst flexibles Verhältnis zu Moral – zumindest, wenn es um andere ging. Dass People of Color (PoC) versklavt wurden, schien ihn wenig zu stören. Als er selbst kurzzeitig in diese „unangenehme“ Lage gerät (eine Schmach für einen weißen Christen!), ergreift er die Flucht. Dabei wirft er einen seiner Helfer ins Meer, den anderen übergibt er bei seiner Rettung bequem an die Portugiesen – als Ware, versteht sich. Später betreibt Robinson eine Plantage in Brasilien. Sklaven sind nötig, Bürokratie lästig – also reist er nach Guinea, um sich Nachschub zu besorgen. Doch das Schicksal meint es abenteuerlich mit ihm: Wieder Schiffbruch, wieder eine einsame Insel. Drei Jahrzehnte lang trotzt er der Natur und herrscht über sein kleines Reich – bis er auf einen Stamm trifft, den er kurzerhand als „Wilde“ bezeichnet.

Autor und Held – ein Herz und eine Kolonialideologie

Einen dieser „Wilden“ rettet Robinson vor den anderen und tauft ihn großzügig „Freitag“. Warum den echten Namen lernen? Freitag ist angeblich dankbar für seine neue Rolle als unterwürfiger Diener. Robinson erzieht ihn gleich richtig: Neue Identität, neue Aufgabe – und bloß kein Platz für eigene Sprache oder Kultur.
Daniel Defoe dachte offenbar ähnlich. Als überzeugter Kolonialbefürworter hielt er Anteile an Unternehmen, die mit Sklaverei ihr Geld verdienten. Gleichzeitig verfasste er wirtschaftliche Schriften, in denen er empfahl, Kolonien maximal auszubeuten – bevor es andere europäische Mächte tun. Ein echter Visionär eben.

Passwort vs. Robinson

Vielleicht sollte der Robinson-Crusoe-Tag daher nicht nur genutzt werden, um von Abenteuern und heldenhaften Überlebenskämpfen zu träumen. Stattdessen wäre es eine gute Gelegenheit, sich der rassistischen Vorurteile und kolonialistischen Denkmuster bewusst zu werden, die in dieser Geschichte schlummern – und die, ob wir es wollen oder nicht, auch heute noch in vielen Köpfen unbewusst weiterleben.

„RobinsonCrusoe*!719“ eignet sich so gesehen allenfalls noch als passables Passwort 😊